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Robert Munsch und Helge Nyncke: Die Tütenprinzessin

Titel: Die Tütenprinzessin
Autor: Munsch, Robert
Illustrator: Nyncke, Helge
Übersetzung aus dem Englischen: Nyncke, Helge

Deutsche Erstausgabe: Oldenburg: Lappan, 1987.

Besonderheiten: Die deutsche Ausgabe hat andere Illustrationen als die Originalausgabe.

Altersklasse: 4+

Robert Munsch und Helge Nyncke: Die Tütenprinzessin
Titelbild der 3. Auflage von 1994

Rezension von Cassy Kloppe

Die Tütenprinzessin ist eine Fantasiegeschichte. In diesem Buch geht es um eine hübsche, wohlhabende Prinzessin die in einem Schloss wohnt und demnächst mit einem Prinzen verheiratet wird. Allerdings werden ihre Besitztümer und Kostbarkeiten in Schutt und Asche verwandelt, als sich eines Tages ein Drache an ihrem Schloss austobt und dazu noch den Prinzen entführt. Die Prinzessin macht sich mit einer provisorischen Papiertüte bekleidet auf den Weg zur Höhle des Drachens um den Prinzen zu retten. Als sie zu ihm gelangt, lässt sie sich nicht von seinen Drohgebärden beeindrucken, sondern fordert ihn heraus seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Er muss Dutzende von Wäldern abfackeln und in Sekunden die Welt umkreisen, was ihn am Ende körperlich so erschöpft, dass sich die Prinzessin ohne Widerstand Zugang in seine Höhle verschafft und zu ihrem Prinzen gelangt. Dieser verliert an Ansehen und Respekt als er auf seine Rettung Nichts außer abwertende Kommentare zu Kleidung und Erscheinung der Prinzessin übrig hat. Eine Heirat kommt für sie zu Letzt nicht mehr in Betracht.

Am Anfang der Geschichte gibt es keine Anzeichen für eine von der Norm abweichende, innovative Darstellung der Geschlechterrollen. Die Prinzessin, abgebildet in einem pompösen Kleid mit aufwendig hergerichteter Haarpracht, steht drapierend vor dem Spiegel während der Prinz, scheinbar davon gelangweilt, im Hintergrund gähnend dargestellt ist. Hier ist die klassische stereotype Rollenverteilung erkennbar; die Frau, die viel Aufwand und Wert in ihr makelloses Äußeres steckt, welches phenotypisch durch lange Haare und Kleiderwahl unterstrichen wird und der Mann, daraus kein persönliches Vergnügen für sich ziehen könnend, dies toleriert und akzeptiert. Ab dem Moment an dem der Prinz entführt wird, die Prinzessin, die trotz Verlust all ihrer Kostbarkeiten, mit einer Papiertüte bekleidet in die Rolle der Retterin einsteigt, wird die weibliche Rolle zunehmend in eine emanzipierte Geschlechterrolle umgewandelt. Sie bekommt männliche Attribute wie mutig sein, nicht auf ihr Äußeres Wert legen, herausfordern, strategisch sein und letztlich freie Entscheidungen, entgegen der eines Mannes, fällen zu können. Damit bricht sie das stereotype Bild von einer Prinzessin, die sich eben sauber, hübsch und zart zu präsentieren hat.

Die männliche Rolle, die des Prinzen, bleibt im Verlauf der Geschichte weitestgehend unangetastet und gibt wenig Informationen frei. Anhand der als passiv dargestellten Illustration des Prinzen im Augenblick seiner Entführung, sowie seiner an Konventionen festhaltenden Äußerungen über das Erscheinungsbild der Prinzessin im Augenblick seiner Rettung, ist anzunehmen, dass seine Rolle der konventionellen gleicht.

 

Rezension von Torsten Kühler

Das Bilderbücher von ihren Bildern leben, ist mir bei diesem Buch wieder mal sehr bewusst geworden. Ich hatte die deutsche Ausgabe in der Hand, blätterte sie kurz durch und hatte keine Lust das Buch zu lesen oder gar für diese Webseite zu rezensieren, da mir die Bilder nicht gefielen. Erst als ich obige Rezension las und in die Webseite einpflegte, war mein Interesse geweckt.

Robert Norman Munsch ist ein in den USA geborener kanadischer Schriftsteller mit Bestseller-Status in den USA und in Kanada. Er wollte ursprünglich Priester werden, gab das aber zu Gunsten der Arbeit mit Kindern auf. Seit 1979 schreibt er Kinderbücher. Sein bekanntestes Buch ist "Love You Forever". In Deutschland erschien das Buch unter den Titeln "Ich werde dich immer lieben" und "Ich lieb dich für immer...". Das hier vorgestellte "Die Tütenprinzessin" war seine dritte Veröffentlichung.

Auf der offiziellen Webseite des Autors fand ich dann eine Lesung des Autors als Audiofile: "The Paper Bag Princess" gelesen von Robert Munsch. Dieses kleine Hörbuch ist ein absoluter Glücksfall, denn mit seiner dynamischen Stimme verleiht der Autor seiner eigenen Geschichte eine unerwartete Tiefe und vermittelt doch eine erstaunliche Leichtigkeit. Oder um es anders auszudrücken: Es ist einfach ein Genuss zuzuhören.

Ich recherchierte weiter und war überrascht, dass weltweit auf andere Illustrationen zurückgegriffen wird als in Deutschland. Mir gefallen die Fantasy-Illustrationen von Helge Nyncke nicht, und das führte zu der Eingangs beschriebenen Situation, dass ich das Buch abgab, um es von jemand anderem lesen und rezensieren zu lassen.

Die Tütenprinzessin - deutsche Ausgabe
Die Tütenprinzessin - Originalausgabe
Gestaltung der deutschen Ausgabe
von Helge Nyncke
Gestaltung einer kleinformatigen
kanadischen Ausgabe von Michael Martchenko

Die Originalausgabe hat dahingegen Illustrationen, die mir wesentlich besser behagen. Michael Martchenkos Illustrationen haben erheblich mehr Witz.

Dass ich mich von den Illustrationen von Helge Nyncke verunsichern lies, ist äußerst schade, denn die Geschichte und ihre Charaktere eind einfach umwerfend: Eine selbstbewusste, clevere Prinzessin, ein dummer Drache und ein saudummer Prinz agieren abseits der Rollenbilder und zumindest die Prinzession kann die gesellschaftlichen Konventionen durchbrechen. Das Buch spielt mit den Erwartungshaltungen der Leser an eine Prinzessinen-Drachen-Geschichte und führt dies adabsurdum.

Robert Munch plaudert auf seiner Webseite, dass seine Frau ihn eines Tages fragte: "How come you always have the prince save the princess? Why can't the princess save the prince?" Ja, warum kann nichtmal die Prinzessin den Prinzen retten? Also schrieb er diese Geschichte, die übrigens damit enden sollte, dass die Prinzessin dem Prinzen auf die Nase boxte. Aber Michael Martchenkos Illustration dieser Szene war den beiden dann doch "ein bisschen zu gewalttätig", so dass sie ihn nur verbal zurecht wies.

Die 1980 erstmals erschienene Originalausgabe hat sich im ersten Jahr 3.000 mal verkauft, seitdem aber über 3 Millionen mal. Leider ist dieses Buch auf deutsch derzeit nicht lieferbar, eine Neuausgabe mit den Illustrationen von Michael Martchenko wäre wünschenswert, denn die Geschichte ist es allemal wert in den Kinderzimmern gelesen und angeschaut zu werden, von Jungen ebenso wie von Mädchen. Und eines lehrt das Buch: Helden gibt es geschlechterunabhängig, Trottel aber auch.

 

 

1. Juli 2009
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