|
Paul Maar und Verena Ballhaus: In einem tiefen
dunklen Wald
Titel: In einem tiefen dunklen Wald
Autor: Maar, Paul
Illustratorin: Ballhaus, Verena
Deutsche Erstausgabe: Hamburg: Oetinger,
1999.
Hiweis: Im Gegensatz zu vielen anderen hier
vorgestellten Büchern handelt es sich nicht um ein klassisches
Bilderbuch. Das Buch hat 144 Seiten. Es eignet sich dennoch
hervorragend zum Vorlesen.
Altersklasse: 4+
|
Titelbild der Erstausgabe |
Rezension von Jakob Held
Prinzessin Henriette-Rosalinde-Audora hat ein Problem. Sie ist
gerade 18 geworden und soll nun heiraten. Aber keiner der Prinzen,
die in ihr Haus kommen, gefällt ihr. Deswegen ersinnt sie eine
List, wie sie doch zu einem mutigen und schönen Mann kommt:
sie lässt sich von einem Monster entführen. Natürlich
einem vegetarischen - um ganz sicher zu sein, dass ihr auch wirklich
nichts passiert. Die Entführung wird nun in aller Lande verkündet
und verschiedene Prinzen versuchen sich darin, sie aus den Klauen
des Ungeheuers zu befreien. Es misslingt allen. Da macht sich die
junge Prinzessin aus dem Nachbarland heimlich auf den Weg, ihre
Nachbarin zu befreien...
"In einem tiefen dunklen Wald" ist eine spannende Phantasie-Geschichte
für Kinder ab 4 Jahren. Das Buch ist ansprechend und interessant
bebildert, was es auch für das Erstlesealter interessant macht,
da es eine Einführung im Comicstil gibt. Erst nach ein paar
Seiten findet sich der gewohnte Fließtext, welcher jedoch
von kleinen Bilder aufgelockert wird. In der Mitte des Buches und
am Ende sind ebenfalls große Bilder zu finden, welche dazu
anregen, interpretiert zu werden und ins Gespräch zu kommen.
Der Stil der Bilder ist einfach und humorvoll gehalten, so dass
sie den Text gut begleiten und gleichzeitig vertiefen.
"In einem tiefen dunklen Wald" ist eine Geschichte, welche
sich an gängigen Märchenklischees orientiert und sie gleichzeitig
dekonstruieren, hinterfragen möchte. Primäre Mittel dafür
sind Überzeichnung und Karikierung. Vater König ist schwer
von Begriff, die Prinzen ängstlich und ungeschickt, die Ungeheuer
eigentlich ganz harmlos und unsere Protagonisten, die Prinzessinnen
aufständisch und unangepasst. Gerade im Hinblick auf den Genderbezug
wird so eine Auseinandersetzung und Diskussion geradezu provoziert.
Etwa, wenn in einem Atemzug behauptet wird, Prinzessinnen hätten
damals nichts gekonnt außer schön zu sein, da sowieso
davon ausgegangen wurde, ein kluger Prinz würde sei eines Tages
heiraten. So wird sich im nächsten Satz und anhand einer Illustration
deutlich davon distanziert. Es sei ja schließlich schon lange
her, das die Geschichte stattgefunden habe. Auch wenn sich die Prinzessin
als Junge verkleidet und bis in die wörtliche Rede hinein ihre
weiblichen Merkmale zu überspielen versucht, wird ein "doing
gender" unmittelbar erlebbar. Eine besondere Stärke des
Buches ist dabei, alle handelnden Figuren jeweils realistisch reagieren
zu lassen. So muss die Protagonistin z.B. auch rollenbedingte Zuschreibungen
wie das Verbieten der Übernahme von "männlichen Aufgaben",
hier geschildert als das Befreien der entführten Prinzessin
durch eine Prinzessin, hinnehmen und sich entsprechend positionieren.
Ich denke, das Buch beschreibt einen vorbildlichen Umgang mit solchen
Konflikten, da durchweg Lösungen aufgezeigt werden, welche
das klassische Rollendenken hinterfragen.
Sprachlich weist die Erzählung einige Besonderheiten auf,
welche das Buch einzigartig machen. Besonders zu erwähnen sind
die experimentellen Ansätze, unterschiedliche wörtliche
Reden einzusetzen. So kann etwa das entführende Ungeheuer nur
den Vokal "o" aussprechen, was für viele Lacher und
einige Missverständnisse innerhalb der Geschichte sorgt. Auch
die Prinzessin probiert unterschiedliche Sprechweisen aus, wenn
sie sich außerhalb ihres väterlichen Hofes bewegt. Ihre
Erfahrungen im Wechsel von höfischer Sprechweise (Anrede grundsätzlich
in der dritten Person) in gemeine Alltagssprache wird in den Reaktionen
der agierenden Personen wirklichkeits bezogen und für Kinder
gut nachvollziehbar dargestellt. Vielleicht werden die Zuhörenden
durch diese realistische Beschreibung angeregt, selber mit ihrer
Sprache zu experimentieren.
Der Erzählstil der Geschichte ist dynamisch gestaltet. So
wechseln sich länger gefasste Passagen mit detaillierten Einzelbeschreibungen
ab, was verdichtete Spannungsmomente und emotionales Einfühlen
erlaubt. Z.B., wenn die Prinzen sich darin versuchen, das Ungeheuer
zu besiegen und dabei durch den dunklen Wald stapfen. Ein durchweg
tragendes Element ist der Humor. Immer wieder musste ich beim Lesen
herzhaft lachen, sind doch die Figuren und ihre Handlungen herrlich
komisch dargestellt.
Zusammenfassend kann ich sagen, das dieses Buch einen humorvollen
und leicht zugänglichen Einstig in eine Gender-Diskussion bieten
kann. Die spannende Geschichte, der phantasievolle Rahmen und die
liebevolle, lustige Illustration bergen in meinen Augen das Potential
für ein Lieblingsbuch.
|
|